JAGDFIEBER

Es war an einem dieser späten Apriltage. Regungslos liege ich auf dem noch lauwarmen Teer, nur einen Hauch vor dem Abgrund, jederzeit Gefahr laufend, hinabzustürzen. Das wäre unweigerlich das Ende. Der Platz auf dem ich verharre zeigt abwärts in Richtung abgrund; aber daran darf ich jetzt nicht denken. Ich rutsche ein paar Zentimeter hinab, kann mich gerade noch so abfangen. Das war verflucht knapp. Ich muss mich beherrschen meine Nerven zu behalten; ein Abbruch wäre absolut inakzeptabel.
Ich liege sehr flach, eine Hand am Abzug; mit der anderen stütze ich mich so gut es geht ab. Meine Kleidung ist nicht für diesen Einsatz geschaffen und so bohrt sich der grobkörnige Teer in meinen Leib; der Schmerz wird von Sekunde zu Sekunde größer; aber ich darf jetzt nicht aufgeben. Nicht jetzt. De Gelegenheit ist günstig, so günstig wie nie zuvor. Solche Chance hat man nur einmal, vielleicht zweimal im Leben. Wenn ich jetzt einen Rückzieher machte, müsste ich fast 40 Jahre auf die nächste Möglichkeit warten; eine scheibar unendlich lange Zeit. Der Gedanke an ein Scheitern meiner Mission wäre unerträglich; er lässt mich meine Schmerzen vergessen.
Ich ziele mit einem Auge durch das Zielfernrohr. Die Feinde wissen nicht, dass ich schon auf sie warte. Ich muss sie alle auf einmal erwischen, in der Herde, das ist die einzige Möglichkeit, die Mission darf nicht scheitern.
Sie tarnen sich sehr gut. Nur mit Mühe kann ich sie gegen den dämmernden Himmel erkennen. Aber die einsetzenden Nacht eröffnet mir optische Vorteile. Doch ich habe nicht mit einem so starken Feind gerechnet. Wieder und wieder versteckt sich einer nach dem anderen hinter hastig vorbeiziehenden Störenfrieden. Eigentlich kein Problem; aber ich darf nicht sinnlos Material vergeuden, und so warte ich ab, bis die Parasiten den Blick auf den Feind ungehindert freigeben. Ein wahrlich schwieriges Unterfangen. Es scheint durchgehend einer nach dem anderen verdeckt zu werden. Es wird spät, zu spät. Die Herde zieht beständig weiter gen Horizont; nicht mehr lange, und ich hätte keine Chance mehr, sie alle auf einmal zu erwischen. Ich komme kurz ins Schwitzen; beginne zu Zittern, betätige fast den Auslöser. Aber einen Moment später fange ich mich wieder. Ich muss jede Gelegenheit, die sich mir aufbietet nützen. Ein Scheitern wäre nicht tolerierbar. Es weht eine kurze kräftige Böe; sie zieht mich fast den Abgrund hinunter, aber mit letzter Kraft kann ich mich auf dem körnigen Gerüst halten. Der Wind wird stärker; er vertreibt die Parasiten. Ich habe Glück. Der Blick auf alle fünf Herdenmitglieder ist frei. Ich betätige den Abzug. Ich betätige ihn nochmal. Wieder und wieder. Ständig mit anderen Zeitintervallen. Ich muss diesen Moment ausnützen. Doch was ist das? Ladehemmung? Nein, das Magazin ist leer. Was soll ich nur machen? Es wird später. Mir kommt der Gedanke an mein Ersatzmagazin. Es ist in meinem zweiten Gewehr, im Camp. Eilig aber trotzdem vorsichtig ziehe ich mich aus meiner Lauerstellung zurück und klettere über das Geländer, das unvorsichtige Leute vor einem versehentlichen Absturz bewahren soll. Ich renne zum Depot, der Weg scheint unendlich. Keuchend komme ich an. Wo ist das Gewehr? Im Schrank. Ich reiße die Tür auf, hole das Gewehr raus und will das Magazin herausholen. Plötzlich bemerke ich, dass es schon fertiggeladen ist. Welcher Idiot war das, das ist lebensgefährlich?! Vorsichtig entspanne ich das Gewehr und hole das Magazin heraus.
Ich renne zur Stellung zurück, das Geländer kann mich nicht aufhalten. Schließlich bin ich Profi. Noch in der Bewegung lade und entspanne ich mein Gewehr. Die Gelegenheit ist so günstig wie nie zuvor für möglich gehalten. Ich gleite zur Lauerstellung. Der Wind hat die neue Parasiten hergeweht, aber die sind klein, die Feine können sich nicht hinter ihnen verstecken. Ich drücke ab. Schuß an Schuß, wie in der Grundausbildung gelernt mit wechselnden Zeitintervallen.
Aus, Ende, der erste hat sich hinter dem Horizont verkrochen; es ist vorbei. Jetzt muss ich auf die Ergebnisse warten; sie werden gut werden; sehr gut sogar, dessen bin ich überzeugt. Noch völlig aufgewühlt, aber trotzdem Vorsicht gebietend gehe ich in meine Hauptlager zurück. Ob es so eine Chance mit diesen Bedingungen jemals wieder geben wird? Ich schlafe ein.....