EINNORDEN NACH DER SCHEINERMETHODE

Für langbelichtete, sauber nachgeführte Astrofotos muss die Stundenachse des Teleskops genau auf den Himmelspol ausgerichtet sein, sonst kommt es zur Bildfeldrotation [1]. Verfügt man über einen guten Polsucher, kann man sich glücklich schätzen. Wer dieses Utensil nicht sein Eigen nennen darf, muss wohl oder übel den schwierigeren Weg gehen und das Teleskop nach der Scheinermethode ausrichten. Diese Vorgehensweise geht auf den deutschen Astronomen Julius Scheiner (1858 – 1913). Wie das funktioniert, zeige ich in diesem Artikel. Voraussetzung dafür ist ein Teleskop mit einer parallaktischen Montierung, ein Fadenkreuzokular (bzw. ein Schraubeinsatz mit Fadenkreuz) und je ein gut sichtbarer Stern im Osten und Süden.

Erste Schritte

Bevor man mit der Scheinermethode beginnen kann, müssen zwei Dinge bedacht werden:

  1. Die Montierung muss auf ebenem Boden stehen. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, nützt auch die beste „Einscheinerung“ nichts. Ein sehr nützliches Hilfsmittel um herauszufinden, ob die Montierung ausreichend in der Waage liegt, ist die „Dosenlibelle“. Dies ist eine runde Wasserwaage mit wenigen cm Durchmesser. Sie wird auf einer ebenen Stelle auf der Montierung angebracht, von der man weiß, dass sie genau horizontal liegt. Bei modernen, futuristisch aussehenden Montierungen soll das bisweilen ein aussichtsloses Unterfangen sein. Es gibt aber noch die Methode des kleinen Mannes: Mit einer „normalen“ Wasserwage kann man entlang des Umfanges der Montierungssäule die Wasserwaage anlegen und sich so vergewissern, ob alles im Lot liegt. Bei Stativmontierungen funktioniert das aber leider nicht.
  2. Die Polhöhe muss korrekt eingestellt sein. Diese ist die Höhe des Himmelspoles über dem Nord- (bzw. Süd-)punkt und entspricht der geographischen Breite des Beobachtungsortes. Meist sind die Skalen auf den Montierungen zu grob, um die Polhöhe am Teleskop direkt mit ausreichender Genauigkeit einzustellen.

Einstellen der Polhöhe

Nachdem das Teleskop nun eben aufgebaut, die Polhöhe zumindest grob auf die geographische Breite des Standortes eingestellt und die Montierung nach Auge auf den Nordstern ausgerichtet worden ist, beginnen wir mit der genauen Einstellung der Polhöhe. Dazu benötigt man einen hellen Stern im Osten und ein Fadenkreuzokular (z.B. selbstgebaut wie unter [2] beschrieben). Ich bevorzuge deshalb einen hellen Stern, da ich diesen ordentlich defokussieren kann. In meinem Newton zeigt sich der Stern so als große Kreisringscheibe, deren Zentrum dunkler ist. Das Fadenkreuz hebt sich so sehr schön vor dem Sternklecks ab und man sieht sofort, wo das Zentrum des Bildfeldes liegt. Selbstverständlich kann man aber auch ein teures beleuchtetes Doppelfadenkreuzokular verwenden.

Bei nicht zu geringer Vergrößerung (bei meinem 4,5“-Newton benutze ich für gewöhnlich eine Vergrößerung um 100x) und eingeschalteter Nachführung (bzw. Handnachführung) beobachtet man nun, in welche Richtung sich der Stern von der Mitte des Fadenkreuzes entfernt. Je nach Teleskoptyp und Okulareinblick (z.B. Zenitprisma) macht sich ein und derselbe Fehler der Polhöheneinstellung, z.B. eine zu niedrige Polhöhe, in unterschiedlichen Fluchtrichtungen des Sternes bemerkbar. Es macht hier also keinen Sinn, von „oben“ oder „unten“, „links“ oder „rechts“ zu sprechen. Deshalb ist die nun folgende Vorgehensweise sehr allgemein gehalten, führt aber auf jeden Fall zum Erfolg: Driftet der Stern so aus der Mitte (wohlgemerkt bei angeschalteter Nachführung), dass man den ganzen optischen Tubus heben müsste um den Stern wieder in das Zentrum zu bringen, ist die Polhöhe zu hoch. Gegenteiliges gilt für den Fall, dass der Stern so herauswandert, dass man den Tubus heben müsste.

Nun heißt es also: Polhöhenklemmschraube oder -hebel lösen, ein wenig (immer bedenken: wir haben die Polhöhe nach Augenmaß ja zumindest auf ein Grad genau eingestellt, deswegen macht es keinen Sinn, jetzt 5° zu korrigieren) in die entsprechende Richtung weiterbewegen, Klemmschraube oder -hebel wieder anziehen (nach fest kommt ab, also bitte: mit Gefühl ...).

Jetzt geht das Ganze wieder von vorne los. Wir stellen wieder den hellen Stern im Osten ein und schauen, was passiert. Der Stern sollte jetzt in gleichen Zeitabschnitten wie eben schon merklich weniger aus der Mitte herauslaufen. Wandert er in die gleiche Richtung ab, so war die Korrektur der Polhöhe noch zu gering. Also nachbessern. Läuft der Stern schneller in die gleiche Richtung heraus wie eben, dann haben wir den Fehler gemacht, dass wir die Polhöhe in die falsche Richtung „korrigiert“ haben. Es kann aber auch vorkommen, dass der Stern in die andere Richtung herausläuft; dann sind wir über’s Ziel hinausgeschossen. Jetzt heißt es also wieder Polhöhenklemmung lösen, neu einstellen, wieder anziehen und das ganze Spiel beginnt von neuem. Aber keine Angst: Irgendwann ist der Punkt gekommen, an dem man keine Abweichung des Sternes aus der Mitte des Fadenkreuzes erkennt. Es gilt hier folgende Faustregel: Will man später maximal 20min belichten, dann sollte der defokussierte Stern nach 20 Minuten nicht aus der Mitte herausgelaufen sein, sonst entstehen auf den späteren Bildern Fehler. Die Einstellung der Polhöhe kann schon mehrere Stunden in Anspruch nehmen, wenn man sehr gewissenhaft vorgehen möchte. Bei kleinen Abweichungen sollte man sich aber nicht gleich verrückt machen. Für den Anfang reicht es allemal. Ich habe z.B. die Polhöhe noch nie am Stern eingestellt, da mein Haus jegliche Sicht nach Osten verhindert. Trotzdem habe ich für den Anfang schon sehr zufriedenstellende Resultate erzielen können (siehe z.B. [2] und [3]).

Wenn wir es endlich geschafft haben und die Polhöhe genau genug justiert ist, empfehle ich, noch eine Markierung an der Montierung zu machen, die es einem erlaubt, die richtige Polhöhe jederzeit wieder ohne stundenlanges Probieren einzustellen (z.B. mit einem dünnen Strich entlang zweier Bauteile, die sich beim Verstellen der Polhöhe gegeneinander verdrehen).

Ausrichtung nach Norden (Azimuteinstellung)

Hier ist die Vorgehensweise ähnlich wie bei der Polhöhe, mit dem Unterschied, dass jetzt nicht mehr nur die Polhöhe der Montierung bewegt wird, sondern gleich das ganze Teleskop um seine senkrechte Achse (in Azimuth) gedreht werden muss. Hierzu stellen wir einen nicht zu schwachen, diesmal im Süden gelegenen Stern ein und betrachten ihn wie oben beschrieben mit Fadenkreuzokular und im defokussierten Zustand. Auch jetzt ist das Ziel wieder, dass der Stern bei eingeschalteter Nachführung bzw. Handnachführung nicht aus der Mitte des Fadenkreuzes herausläuft. Um die Vorgehensweise möglichst einfach darzustellen, bezeichne ich nun einfach die Drehrichtung des Teleskops von Süden nach Westen mit „im Uhrzeigersinn“ und diejenige von Süden nach Osten mit „im Gegenuhrzeigersinn“, genauso wie wenn man von oben auf den Fuß der Säule bzw. die Stativfüße schaut.

Wandert der Stern nun in solcher Weise aus dem Gesichtsfeld heraus, dass man das Fernrohr heben müsste, um den Stern wieder in die Fadenkreuzmitte zu bringen, muss man im Uhrzeigersinn drehen. Entgegengesetzt verhält es sich, wenn man den Tubus senken müsste. Für gewöhnlich wird sich hierbei die Abweichung sehr schnell zeigen, so dass man schon nach einigen Sekunden mit der Korrektur anfangen kann. Dies liegt daran, dass die Ausrichtung nach Norden mit dem bloßen Auge eben nicht so genau erfolgen kann wie beispielsweise die Einstellung der Polhöhe anhand einer Skala.

Hat man nun das Teleskop in die entsprechende Richtung gedreht, vergewissert man sich, dass die vorgenommene Änderung richtig war, der Stern also weniger schnell aus der Mitte herausläuft. Unbedingt beachtet werden muss allerdings noch, dass das Teleskop bei der Drehung um seine Vertikale nicht aus dem Lot läuft. Normalerweise ist dies nicht der Fall; ich habe aber auch schon in extrem unebenem Gelände gestanden, wo die Nordausrichtung ein Ding der Unmöglichkeit war.

Gehen wir aber einmal davon aus, dass der Untergrund, auf dem wir stehen, eben ist. Dann stellen wir wieder unseren Stern im Süden ein und schauen, was sich getan hat. Im Regelfall wird die „Fluchtgeschwindigkeit“ des Sternes schon merklich geringer ausfallen als vorhin. Ist die Richtung, in die der Stern läuft noch die gleiche wie eben, dann war unsere Drehung noch zu zaghaft. Also müssen wir nun das Teleskop noch ein wenig weiter drehen. Je geringer die Geschwindigkeit der Sterns ist, mit der er aus der Mitte läuft, desto kleiner sollte die Drehung des Teleskops ausfallen. Auch hier gilt wieder: Läuft der Stern in die andere Richtung als vor der Korrektur, dann haben wir es etwas zu gut mit der Korrektur gemeint und müssen entsprechend gegensteuern.

Irgendwann ist aber auch hier der Punkt erreicht, an dem man keine oder nur noch eine vernachlässigbar kleine Abweichung des defokussierten Scheibchens sieht. Keine Panik: Auch hier dauert es seine Zeit, bis sich dieser höchst erfreuliche Augenblick einstellt. Selbst nach mehreren Jahren des Fotografierens und damit verbundener Notwendigkeit des Einscheinerns benötige ich immer noch gut 20 – 30 Minuten, bis ich mit dem Fotografieren anfangen kann. Aber wir sind ja jetzt am Ziel, herzlichen Glückwunsch! Das Teleskop ist nun genau genug auf den Himmelspol ausgerichtet.

Will man immer vom gleichen Standort aus beobachten bzw. fotografieren, ist aber gezwungen, das Teleskop am Ende der Nacht wieder einzupacken, sollte man sich auch noch eine Markierung am Boden basteln, mit der in der nächsten Nacht die ganze Prozedur nicht mehr wiederholt werden muss.

Die parallaktische Montierung im Detail: Unterhalb der Bildmitte findet sich die Polhöhenskala (weiße Zahlen auf schwarzem Grund). Mit "1" ist die Stundenachse gekennzeichnet, die auf den Pol zeigen muß, mit "2" die Deklinationsachse, die auf der Stundenachse senkrecht steht und deren Drehung mitmacht.

Literatur:

[1] Weis, C., Kleiner Fehler – große Wirkung, VdS-Journal Nr. 13, S. 28f
[2] Weis, C., Piggyback-Astrofotografie ohne motorische Nachführung, VdS-Journal Nr. 8, S. 26ff
[3] Homepage des Autors: www.astroweis.de